Wenn Hörer unsere Trio-CD das erste Mal in der Hand halten, reagieren viele mit einem überraschten: »Ach wie schön – ist das Cover gemalt?« – gefolgt von einem vorsichtigen: »Vesi … ähm, was heißt das?« Zugegeben, der Begriff »Vesica Pisces« sagt heutzutage wohl kaum jemandem was. Vieles allerdings deutet darauf hin, dass das schon mal ganz anders war.
Mathematische Definition
Aber am besten, ich fange mal vorne an: mit der mathematischen Definition.
»Vesica Pisces« (dtsch.: Fischblase) nennt man in der Geometrie die Form, die entsteht, wenn sich zwei Kreise mit gleichem Radius so überschneiden, dass der Mittelpunkt des einen auf der Kreislinie des anderen liegt. Also das entstehende Oval, bzw. die Schnittmenge der beiden Kreisflächen (siehe Grafik oben). Man spricht übrigens »We-si-ka Pis-zes«, oder auch »We-si-ka Pis-kes«.
Weltweit verbreitetes Symbol
Weltweit, und kulturübergreifend wird die »Vesica Pisces« als Symbol für das (geboren) »Werden«, bzw. den Moment des Übergangs vom Geistigen zum Weltlichen verwendet. Oder anders ausgedrückt: die Schnittstelle zwischen Schöpferkraft und Materie. Diesbezüglich an authentische Informationen zu kommen, hat mich mehrere Jahre Recherche gekostet. Ich musste viel lesen, viele Vorträge hören und verschiedene Reisen unternehmen. Dazu gleich mehr.
Einige der Bücher, die mir dabei »zugeflogen« sind, liefern eine Vielzahl inspirierender, erstaunlich aktueller Denkanstöße zu aktuellen, gesellschaftlichen Themen. Besonders der Bezug zu heute hat von Anfang an mein Interesse geweckt. Mehr über diese inspirierenden Quellen am Ende dieses Beitrags. Dort habe ich eine ausführliche Literatur- und Medienliste verlinkt.
Ein universelles Prinzip
Manch »antiquiertes« Konzept liefert erstaunlich klare, gleichzeitig wissenschaftlich fundierte Erklärungen zu so genannt »esoterischen« Themen. Ich spreche von Intuition, (über-) sinnlicher Wahrnehmung, »Bauchgefühl« und dergleichen. Phänomene, die wir zwar alle kennen, mit denen sich »der moderne Mensch« oft aber trotzdem schwertut: Wir denken gerne »logisch«. Worte wie »Logo« und »logisch« sind sogar fester Bestandteil des täglichen Sprachgebrauchs geworden.
Erst im Laufe meiner Studien wurde mir wirklich klar, wie anders in vielen Kulturen gedacht und gefühlt wird – bis heute. In einer Art und Weise, die meinem persönlichen Empfinden näher steht als die oft nur vermeintliche »Logik«. Dass zwischen Symbolik, Klang und Schwingung eine Verbindung besteht, habe ich schon immer so empfunden. Diese »Ahnung« gehört in anderen Kulturen zum Allgemeinwissen.
Die »Vesica Pisces« ist dort Symbol eines universellen Wachstumsprinzips, das sowohl für die Physik, als auch Mathematik, Architektur, Kunst, Musik und Metaphysik gleichermaßen Bedeutung hat.
Die Welt ist Klang
Spätestens seit Joachim-Ernst Berendts Bestseller »Nada Brahma« wissen Musikinteressierte im Westen, dass die Welt nach östlicher Überlieferung aus Klang besteht: Alles schwingt und ist ständig in Bewegung, auch wenn wir das mit bloßem Auge nicht unbedingt wahrnehmen. Neurowissenschaftler gehen davon aus, dass ein Objekt unserem Auge sogar umso statischer erscheint, je schneller es schwingt.
Das Konzept passt durchaus zu unserer Alltagswahrnehmung? Wir alle kennen den Bildeffekt »vorbei fliegende Landschaft«, die wie eine statische Fläche erscheint?
Steine gelten bei uns im Westen als Inbegriff der Bewegungslosigkeit. Die längst wissenschaftlich belegte Realität jedoch ist, dass Gestein aus rasend schnell schwingenden Atomen besteht, die sich aus wiederum noch kleineren, noch schneller schwingenden Elementarteilchen zusammensetzen.
»Vesica Pisces« im Alltag
Aufmerksame Beobachter finden die »Vesica Pisces« auch im persönlichen Umfeld. Sie ist in nahezu allen Bereichen unseres täglichen Lebens zu finden. Das erste Wachstumsstadium, das wir auf dem Weg von der Zelle zum Menschen durchlaufen, ist eine »Vesica Pisces«. Sie entsteht in dem Moment, indem die befruchtete Eizelle sich zum ersten Mal teilt. Die (weibliche) Öffnung, durch die wir später in diese Welt geboren werden, hat ebenfalls die Form einer »Vesica Pisces«.
»Vesica Pisces« in der Technik
Selbst in Bereichen, in denen ich das nie vermutet hätte, wirkt die »Vesica Pisces« auf geheimnisvolle Weise: bspw. in der Hightech Welt. Sogenannte Fraktale spielen für die Bildschirmdarstellung unserer Computer eine entscheidende Rolle. Sie machen die grafische Darstellung heutiger Computerspiele und Videos überhaupt erst möglich. Beobachtet man das Entstehen solcher Fraktale, sprudeln einem die Fischblasen nur so entgegen.
Anschaulich beobachten lässt sich das bspw. bei der Betrachtung eines wachsenden Blumenkohls im Zeitraffer. Oder wenn man sich die Kreismuster anschaut, die um ihren Kern rasende Elektronen eines Atoms bilden.
In Konstruktionen vieler antiker Bauwerke lässt sich die »Vesica Pisces« finden, an alten Häuserfassaden oder kunstvoll gestalteten Kirchenfenstern. Ein universelles Phänomen geradezu. Überall, wo »Geist« konstruiert, hat die »Vesica Pisces« ihre Finger im Spiel.
Eigene Recherchen und Reisen
Je intensiver ich mich mit dem Thema befasst habe, desto mehr hat es mich fasziniert. Auf der Suche nach lebenden Quellen bin ich schließlich auf die sogenannt »indigene« Kulturen und ihre Traditionen gestoßen. Hier scheint viel bei uns längst vergessenes Wissen überlebt zu haben.
Höhepunkte waren Reisen zu den Hopis (Diné), den »Indianern« des nordöstlichen Arizonas (USA) und den Sami, einem der letzten indigenen Völker Europas. Die Sami leben im Norden Schwedens und den angrenzenden Regionen Norwegens und Finnlands.
Eine Lapplandreise mit den Sängerinnen Anna Lindblom (SWE) und Mariana Sadovska (UA), persönlichen Begegnungen mit samischen Musikern und einem Treffen mit Per Simma war besonders intensiv. Per Simma gilt als bedeutender Schamane und ist unter den Sami – so mein Eindruck – eine Führungspersönlichkeit.
In der Tat zum Schwingen gebracht haben mich die samischen Schamanentrommeln mit ihren magischen Zeichnungen, den sogenannten »Lappenzeichen«. Zweifelsohne ein Wahrzeichen der samischen Kultur. Gemäß samischer Tradition öffnet die Schamanen-Trommel dem Schamanen das Tor in »die andere Welt«. Bis heute werden diese Trommeln in Form einer »Vesica Pisces« angefertigt.
Symbol und Schwingung
Nach Überlieferung indigener Völker schwingt nicht nur der Mensch oder das Wesen, für das ein Symbol steht, sondern auch das Symbol selbst. Aus diesem Grund kann es Kraft entfalten, Energie ausstrahlen und eine Wirkung übertragen, gleich dem Original. Auch dann, wenn es »nur« zeichnerisch oder plastisch dargestellt wird.
Oval geformt sind auch viele der von Hopis (Diné) gefertigten Schmuckstücke, teils sehr kunstvolle Handarbeiten aus Silber. Auch in ihren Zeichnungen und Felsenmalereien habe ich die Form der »Vesica Pisces« immer wieder entdeckt.
»Joik« – Gesangskunst der Sami
Besonders fasziniert hat mich auch die mystische Gesangskunst der Sami, ihr »Joik«. Für die Sami hat jeder »Joik« sein eigenes, lebendiges, spezifisches Wesen. Der »Joik« ist nicht einfach nur eine inspirierende Melodie. Dahingehend ist mir eine Beschreibung immer wieder aufgefallen: Ein Joik wird nicht etwa für eine Person gesungen, oder steht stellvertretend für sie. »Der Joik ist diese Person!«
Sein oder ihr Wesen ist darin lebendig. Das kann selbst ein bereits verstorbenes Mitglied der Gemeinschaft sein, das darin weiterlebt. Genauso kann der »Joik« das Wesen eines Tieres, einer Landschaft oder anderer Dinge sein.
Dass es Zusammenhänge zwischen Gegenstand, Wesen und Schwingung gibt, kann wahrscheinlich auch der strengste »Logiker« nachvollziehen? Wahrscheinlich jeder hatte schon mal das Bedürfnis, heute lieber diese oder jene Farbe zu tragen? Man empfindet eine spezifische Ausstrahlung. Oder jemand fühlt sich von einem Bild besonders angezogen, oder einer bestimmten Musik.
Man findet den einen Menschen auf Anhieb sympathisch, und einen anderen nicht. Neudeutsch spricht man sogar von den guten »Vibes« eines Menschen, Ortes oder einer Musik. Und jeder, der beim Betreten eines Raumes schon mal beklemmende Gefühle hatte, versteht, dass eine »Schwingung« spürbar ist
Zuhause bei Per Simma
Nachhaltig beeindruckt hat mich die Begegnung mit Per Simma, unter den Sami eine respektierte, hoch angesehene Persönlichkeit. Selten ist mir ein Mensch mit ähnlich wachem Verstand und einer so natürlichen Autorität begegnet: hochintelligent, gebildet, offen zugewandt, aufmerksam, wertfrei in seinem Urteil, und absolut authentisch. Bei unserem Besuch hatte ich das Gefühl das erste Mal zu verstehen, was das Wort »Führungspersönlichkeit« bedeutet.
Per Simma genießt international einen Ruf als erfolgreicher Heiler und Schamane: Menschen aus aller Welt reisen in die Abgeschiedenheit des nördlichen Schwedens und finden hier Hilfe. Mir fällt auf, dass sich Per Simma selbst nicht als »Schamane« oder »Heiler« bezeichnet. Er steht solchen Bezeichnungen skeptisch gegenüber. Heilen, so betont er, kann nur der Schöpfer.
Sein umfangreiches Wissen, so erklärt er uns, hat er vor allem aus dem Beobachten der Natur gewonnen.
Ebenfalls besonders in Erinnerung geblieben ist mir seine Aussage, er sei nichts Besonderes. »Alles, was ich weiß, kann jeder andere ebenfalls durch Beobachtung lernen«.
An dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an Per Simma für die geduldige Beantwortung unserer Fragen. Besonderer Dank gilt auch der Sängerin Yana Mangi Sundgren aus Kiruna, die unseren Besuch bei Per Simma möglich gemacht hat.
Vom Symbol zum Titel
Als vorwiegend intuitiv improvisierender Musiker konnte ich mir für meine erste CD unter eigenem Namen keinen passenderen Titel als »Vesica Pisces« vorstellen. Der Gedanke ist lange in mir gereift: ein jahrtausendealtes Symbol für die Metamorphose von Geist (Idee) zu Materie. Jenen Moment, in dem wir »Intuition« erfahren, in dem uns »die Muse küsst«. Ein Zeichen, das genau die Erfahrung symbolisiert, die Musiker und Fans improvisierter Musik so außerordentlich fasziniert. »Vesica Pisces« ist meine Hommage an ein wahrscheinlich Jahrtausende altes Symbol, an die quasi Vulva, aus der Musik geboren wird.
Sami Musikempfehlungen
Abschließend möchte ich einige Musikempfehlungen geben. Einsteigern empfehle ich den Sänger Wimme Saari – hier ein Video mit historischen Bildern und typischen Sami Symbolen. Außerdem die Joik Sänger Lars-Ánte Kuhmunen (CD »Birrasis«) und Johan Sara, hier im Konzert mit Gitarrist Eivind Aarset (Norwegen). Zu den international bekanntesten Stimmen der Sami gehört die faszinierende Musikerin Marie Boine.
Eine der besten Gelegenheiten, authentischen »Joik« live zu erleben, ist wahrscheinlich der jährlich stattfindende Sámi Grand Prix in Kautokeino. Das öffentliche Festival ist sicher einen Besuch wert!
Jetzt CD erwerben
Die Trio-CD ist nach wie vor käuflich zu erwerben. Sowohl als Download als auch physische CD. Beides, sowie Vorhören ist auf »Bandcamp« möglich.
Indigenes Wissen in Eifel und Taunus
»Indigenes Wissen« ist auch in unserem Kulturkreis bis heute präsent. Laut Symbol Dictionary ist das urchristliche Fisch-Symbol eine versteckte Darstellung der »Vesica Pisces«.
In Eifel und Taunus praktizieren bis heute traditionelle Heiler. Allerdings gehen sie nicht mit ihren Kenntnissen hausieren. Sie nehmen in der Regel kein Geld für ihre Dienste, und werden durch Mund-zu-Mund-Propaganda empfohlen. Interviews des Autors Walter Hanf mit dem Pflegepersonal eines Krankenhauses ganz in meiner Nähe legen offen, dass die Hilfe solcher Menschen nicht nur von Patienten, sondern auch von Geistlichen und Ärzten in Anspruch genommen wird.
Weiterführende Literatur
Weiterführende Literatur mit Patientenberichten, Heilungsverfahren und Interviews sind in meiner Literatur- und Medienliste zu finden. Einfach auf den Button klicken.